Mittwoch, 20. März 2013

Angehörigen-Post (Wie erlebe ich die Krankheit aus meiner Sicht?) Part 4/4

Vorab:
Nun folgt das Schreiben meiner Mutter, die von Anfang an bis heute dabei war/ist. Sie hat zwar schon einiges schreiben können, hat sich jedoch gewünscht eine Fortsetzung zu veröffentlichen. Wem es gefällt: es kommt noch mehr.



So, auch ich möchte mich zu Mike Erkrankung äußern.

Da ich Mikes Mutter bin und ab der ersten Stunde dabei war kann ich bestimmt Einiges sagen.
Als Mike erkrankte, ging erst mal jeder davon aus, dass er aufgrund der Atemprobleme an Asthma leidet.
Also etliche Untersuchungen und Medikamente wie Cortison etc.  Aber es wurde nicht besser. Weitere Medikamente und Untersuchungen. Kein Erfolg. Mike hatte immer öfter Atemnot, hatte Herzrasen, kalter Schweiß am ganzen Körper, die Hände eiskalt und der ganze Körper zittert.
Das sind die körperlichen Symptome. Mike steht Todesängste aus.  Ich fühle mich so hilflos. Das kann und darf doch nicht wahr sein. Ist es aber. Hilfe, was ist mit meinem Kind? Bitte, irgendjemand, hilf ihm. BITTE. Aber es kann keiner helfen.
Dann kam der Hausarzt zu dem Schluss, dass Mike keine physische Erkrankung hat, sondern an einer psychischen Erkrankung leidet. Keiner aus seinem Umfeld konnte das glauben und Mike selbst am Wenigsten.
Das konnte sich erst keiner vorstellen. Mike, der immer selbstständig war und auch in vielen Dingen ein aktiver Vorreiter, wurde ein verängstigter Jugendlicher, der nichts mehr allein unternehmen konnte und eine Zeitlang auch kaum sein Zimmer verlassen konnte.
Mike, ein intelligenter und unternehmungslustiger junger Mann, auf einmal alles vorbei. Es gab viele Stunden, in denen ich nicht mehr wusste, was ich machen sollte.
Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wie geht das weiter. Anfangs hatte  es für mich einfach Priorität, dass er seinen Schulabschluss schaffen kann. Es wurde uns ja von diversen Ärzten versichert: wir kriegen das schon in den Griff.
Dann war klar, Mike war nicht mehr dazu in der Lage, die Schule zu besuchen. Oh mein Gott, Mike kann die Schule nicht mehr besuchen, wie geht das weiter, er kann keine Ausbildung beginnen. Was soll nur werden? Aber….es ging ihm nicht besser.
Tag und Nacht habe ich mir Gedanken gemacht, was wird nur werden? Wie kann ich meinem Sohn helfen. Verdammt noch mal, ich WILL, dass er ein vernünftiges Leben führen kann. Ängste und Sorgen bestimmten mein Leben, ich habe versucht, mir es nicht anmerken zu lassen, für Mike stark zu sein.
Oft habe ich allein geweint, oft haben wir gemeinsam geweint. Wie geht es weiter. Dann stellte sich die Frage: geht es weiter? Was ist, wenn Mike nicht mehr will? Wahnsinnige Angst, Mike zu verlieren.
Lieber Gott (falls es dich gibt) lass nicht zu, dass Mike sich etwas antut.  Er ist Gefangener seiner selbst. Abhängig von Anderen um nur mal vor die Tür zu gehen.
Die kleinsten Fortschritte, die sich zwischendurch einstellten, waren für mich von größter Bedeutung. Juhu, Mike hat es geschafft, eine Stunde in der Schule zu verbleiben. Ich saß vor der Tür. Mir war kalt, ich habe gefroren aber es vor lauter Freude nicht wirklich wahrgenommen.
Manchmal hat Mike es zum JUZ (Jugendzentrum) geschafft. Ich saß im Auto vor der Tür, nur so hatte er die Sicherheit um dort bleiben zu können. Es klappte aber öfter. Und an dieser Stelle möchte ich ein großes Lob an Mikes Freunde aus Westuffeln aussprechen. Ihr seid großartig gewesen.
Besonders Manuel und Markus. Markus, du denkst, du konntest nicht helfen. Wenn du wüsstest, wie du geholfen hat.
Du wurdest Mikes Vertrauter und bester Freund. Du kannst so stolz auf dich sein, du bist selbstlos immer für Mike da gewesen. Ich habe zuvor noch nie jemanden gekannt, der ein so guter Freund ist. Ich danke dir.
Ich danke auch Marcel, der versucht hat, immer für Mike da zu sein. Zwar hat er einige Zeit an Mike Krankheit gezweifelt, aber auch er war großartig.
Der Umzug nach Wuppertal. War das der richtige Schritt. Was war davor und danach richtig und was war falsch. Ich frage mich andauernd: Verdammt, warum ist Mike krank geworden? Warum er? Ich würde alles, was in meiner Macht steht unternehmen, damit er gesund wird.
Jascha hat auch verzweifelt versucht, Mike nach dem Umzug zu unterstützen, fand aber auch nicht so ganz den richtigen Weg. Er hat sich so sehr bemüht. Auch an ihn von meiner Seite ein großes Danke schön.
Es folgten gute und schlechte Aufenthalte in der Psychiatrie. Die schlechten sind leider nachhaltig in Mikes Gedächtnis verblieben und er verschränkt sich vor jeder weiteren Therapie. Leider, denke ich.
An seiner Seite war lange Zeit seine Freundin Melanie. Ich mag sie sehr gern aber zum Schluss taten die beiden sich gegenseitig nicht mehr gut.
Tiefen lösten Höhen ab und diese wiederum lösten Tiefen ab. Ich erinnere mich noch daran, als Mike es das erste Mal geschafft hat, allein bei Markus zu übernachten. Ich habe vor Freude geheult.
Jeder noch zu kleine Schritt löste bei mir ein übermäßiges Glücksgefühl aus, weil Mike wieder einen kleinen Schritt nach vorn geschafft hat und es ihm gut ging.
Die jetzige Freundin. Ein guter Schritt in die richtige Richtung. Sie versteht die Krankheit und verhätschelt ihn nicht, wo es nicht angebracht ist. Sie versteht es, ihn zu puschen und ihm zu helfen.
Ich bin so stolz auf euch zwei. Und sie kann Socken richtig zusammenlegen *grins* . Ich hab dich sehr gern.
Anfangs, als Mike nach Paderborn gegangen ist, brauchte er noch viel Unterstützung durch mich. Dieser Bedarf besteht immer weniger. Mike nabelt sich ab!!!
Es freut mich so sehr ABER, eigentlich fällt es mir auch schwer, denn wer lässt sein Kind gern los.
Ich kann sicherlich noch viel, viel mehr schreiben. Da wird aber sicher jeder die Lust am Lesen verlieren. Mein sehnlichster Wunsch zum Schluss: Mike soll ein glückliches, lebenswertes Leben führen können.
Deine Mama, die dich über alles liebt.